DELEIKA in Dinkelsbühl ist Weltmarktführer bei Drehorgeln. Selbst im japanischen Königshaus steht ein solches Instrument aus Dinkelsbühl: Wer hätte gedacht, dass es im Internetzeitalter noch Interesse für ein historisches Instrument wie die Drehorgel gibt. Doch DELEIKA aus Dinkelsbühl ist in dieser Nische erfolgreich tätig und durch die Verknüpfung eines historischen Instruments mit modernster Technik sogar Weltmarktführer. Ansonsten ist die Nische recht klein – in Deutschland gibt es noch drei weitere Drehorgelbauer; weltweit sind es keine zehn.
Gerhard Fischer war eigentlich Kaufmann und die Drehorgel war nur sein Hobby. Offensichtlich war er sehr begeistert von diesem Instrument, denn schon bald gab es auch in seinem Freundeskreis Interesse an Drehorgeln — Fischer erkannte Marktpotenzial. In einem Keller in Crailsheim entstand dann die Firma DELEIKA, eine Abkürzung für Deutscher Leierkasten. Zuerst baute Gerhard Fischer seine Drehorgel auseinander, um das Instrument genau kennen zu lernen; das Fachwissen bekam er vom Orgelbauer Carl Frei aus Waldkirch. Schon 1985 benötigte das Unternehmen mehr Platz, denn ein Schweizer Händler hatte 100 Drehorgeln geordert. Mit dem Umzug übernahm Gerhard Fischer einen Orgelbauer und damit auch den nötigen Maschinenpark, um die Drehorgeln für die Schweiz zu bauen. Mit diesem Auftrag begann die Eigenproduktion der Instrumente.
Parallel zum Schweiz-Geschäft kam ein Markt in Japan hinzu. „Ein Japaner hatte Europa nach Drehorgeln abgegrast“, erzählt Geschäftsführer Kai Rafeldt. In Asien gab es offensichtlich einen Hype auf Drehorgeln. Der Japaner wurde zum Exklusivverkäufer in seiner Heimat und so kommt es, dass im Musikzimmer des japanischen Kaisers eine Drehorgel von DELEIKA steht. 1988 baute die Firma mit rund 400 Drehorgeln die meisten Instrumente pro Jahr – 15 Mitarbeiter waren beschäftigt. Da die meisten Mitarbeiter aus der Gegend von Dinkelsbühl kamen, zog die Firma 1996 an ihren heutigen Standort im Dinkelsbühler Gewerbegebiet Waldeck. Heute sind es insgesamt sieben Angestellte, die rund 100 Drehorgeln im Jahr herstellen. Kai Rafeldt hat im väterlichen Unternehmen Bürokaufmann gelernt, das Wasserenthärter vertrieb. Gerhard Fischer war ein Freund des Vaters und so entdeckte Rafeldt schon früh seine Leidenschaft für die Drehorgel. Nach und nach arbeitete er mehr für DELEIKA, bevor er 2006 Geschäftsführer wurde und heute selbst Drehorgeln baut. Und diese Leidenschaft hält an; wenn er Besuchern die zahlreichen Drehorgeln vorführt, leuchten seine Augen vor Begeisterung.
Der erste Musikabspieler der Geschichte
Es ist nicht ganz klar, ob die Erfindung der Drehorgel aus Frankreich oder England stammt – zumindest kommt sie nicht aus Deutschland. Im 16. Jahrhundert wurden Vogelorgeln gebaut, mit denen man Singvögel dressierte. Diese hatten Stiftwalzen und nur sechs Pfeifen. Daraus entwickelte sich dann ein eigenes Musikinstrument, das sich damals nur Adlige leisten konnten. Aber es war die erste Möglichkeit, Musik abspielen zu können, ohne dass live Musik gemacht werden musste. Nach dem dreißigjährigen Krieg gab es erstmals für kriegsversehrte Soldaten die Möglichkeit, sich auf der Straße mit einem Leierkasten Geld zu verdienen (der Begriff Drehorgel kam erst 1885 auf). Daraus entwickelte sich später ein Geschäft: Arme, die sich so ein teures Instrument nicht leisten konnten, liehen sich Drehorgeln aus, um damit Geld zu verdienen – praktisch das erste Leasing. Mitte des 19. Jahrhundert gab es in Berlin 186 Verleihstationen, meist betrieben von Gastronomen. Auch die Stadt verdiente mit, denn für das Musikmachen benötigte man eine Genehmigung vom Ordnungsamt. Aus den Hinterhöfen der Großstadt kam das Instrument nach und nach über Land und zu den Schaustellern und in den Zirkus. Klassisch wurde mit einer Drehorgel und einem Äffchen Werbung für den Zirkus gemacht, der vor den Toren der Stadt sein Zelt aufgebaut hatte. „Drehorgeln wurden sehr populär, Verkäufer hatten regelrechte Showrooms, wo man die Instrumente ausprobieren konnte, und es gab Werbung in Zeitschriften“, erzählt Kai Rafeldt. 1810 schrieb Ignaz Bruder erstmals auf, wie Drehorgeln gebaut werden, davor wurde das Wissen nur mündlich weitergegeben. Viele Herstellerbetriebe entstanden. Das Todesurteil war eine Erfindung von Thomas Alva Edison: der Phonograph 1850. Dieser ersetzte im privaten Bereich die Drehorgel als Musikabspieler. Bereits 1910 waren zwei Drittel der Drehorgelbauer wieder verschwunden. „Da die Instrumente aus Holz sind, wurden nach dem zweiten Weltkrieg viele Instrumente verheizt“, so Rafeldt. „Dadurch dezimierte sich der Bestand dieser sonst sehr langlebigen Instrumente.“ Doch das weckte das Interesse – die Nachkriegsgeneration war heiß auf Drehorgeln.
Die richtige Strategie zum Überleben
Inzwischen gibt es den nächsten Generationswechsel. Diese Menschen haben nicht unbedingt eine Beziehung zur geerbten Drehorgel. Der Markt in Deutschland ist mit billigen gebrauchten gesättigt. „Wir wollen auf den asiatischen Markt“, erklärt der Geschäftsführer. Dort gebe es bei betuchteren Menschen das Interesse an extravaganten Produkten, die aus Deutschland kommen. Auch die Schweiz und Südamerika sind Märkte mit Potenzial. „Man muss sich neue Märkte erschließen“, ist Kai Rafeld überzeugt. Dazu gehört auch, mit der Zeit zu gehen. Der entscheidende Durchbruch zum Weltmarktführer gelang 1990 mit der Einführung eines elektronischen Systems. Kai Rafeldt kombinierte das klassische Notenband aus Papier mit Elektronik. Das soll die jungen Menschen wieder anlocken. So hat die DELEIKA-Drehorgel eine MIDI-Schnittstelle. Gedreht werden muss trotzdem; mit dem geschwindigkeitsabhängigen Drehen war Rafeldt Vorreiter und natürlich ist diese Technik patentiert. Außerdem kann man neben klassischer Musik auch moderne Popmusik abspielen, etwa von Queen oder den Beatles. Alle Stücke werden extra für die Drehorgel eingespielt. Neues Interesse weckt auch der publikumswirksame Einsatz in der Öffentlichkeit. So ist ein 13-jähriger Junge mit einer Dinkelsbühler Drehorgel bei Stefan Raab in der Fernsehshow aufgetreten. Auch die Sportfreunde Stiller sind Fan der DELEIKA-Drehorgel. In der letzten Zugabe ihrer Konzerte spielen sie „54 – 74 – 90 – 2010“ auf der Drehorgel. „Wenn dazu 8.000 Zuschauer mitsingen, ist das schon geil“, sagt Kai Rafeldt und seine Augen leuchten wieder.